Fachlich legitim ⇒ Teil der Legalität
In der Praxis stellen sich insbesondere folgende Fragen:
- Wie kann pädagogische Verantwortung gelebt werden, wenn unklare Rechtsbegriffe wie „Kindeswohl“ und „Gewaltverbot“ im Erziehungsalltag zu beachten sind?
- Wie lassen sich diese Begriffe praxisgerecht konkretisieren?
- Welches Verhalten ist in dem zwischen Erziehungsauftrag und Kindesrechten bestehenden Spannungsfeld fachlich legitim? Was beinhaltet der Begriff „fachlich legitim“?
- Da jede pädagogische Grenzsetzung automatisch in ein Kindesrecht eingreift: wie grenzt sich insoweit „fachlich legitimes“ Verhalten von Kindesrechtsverletzungen ab, verantwortbare „Macht“ von „Machtmissbrauch“?
- Was bedeuten „fachlich legitim“ und „fachlich illegitim“ im Gesamtkontext der Rechtmäßigkeit des Verhaltens?
Dies sind Fragen, die von Beratungs- / Aufsichtsbehörden (Schulaufsicht, Landesjugendämter) sowie von Fachverbänden nicht beantwortet werden. In der professionellen Erziehung im Umgang mit Kindern und Jugendlichen immer wieder auftretende grenzproblematische Situationen sollten aber – aus Tabuzonen befreit – in offener Diskussionskultur bewertet und gelöst werden. Das ist im Interesse der Handlungssicherheit und des Kindesschutzes wichtig.
Das Projekt setzt „fachlich legitim“ gleich mit „fachlich begründbar“. Aber wer in der Fachwelt hilft der Praxis bei der Frage, welches Verhalten fachlich legitim/ begründbar ist? Bisher fehlen hierzu Aussagen, ist von keinem Fachverband der erforderliche Fachdiskurs gestartet worden. Es geht darum, eine Reflexionsebene anzubieten, um zunächst in pädagogischer Haltung getroffene, subjektiv begründete Entscheidungen (jede/r „meint es gut“) zu überdenken und somit eine dem „Kindeswohl“ entsprechende pädagogisch- qualitativ abgesicherte Entscheidung zu ermöglichen, die auf objektivierenden Entscheidungskriterien beruht.
Ob Verhalten „fachlich legitim/ begründbar“ ist, bedeutet, dass aus der Sicht einer fiktiven fachlich- geschulten Person die subjektive Begründung einer/s PädagogIn pädagogisch zielführend sein kann: wird nachvollziehbar ein pädagogisches Ziel verfolgt? Bemerkung: pädagogische Basisziele sind nach § 1 SGB VIII „Eigenverantwortlichkeit“ und „Gemeinschaftsfähigkeit“ (siehe hierzu auch die angebotenen Prüfschemata). Die beschriebene Reflexion ist bei Entscheidungen unmittelbar verantwortlicher PädagogInnen aber auch mittelbar verantwortlicher Behörden angezeigt, um der Beliebigkeitsgefahr zu begegnen, bedingt durch ausschließlich subjektive Entscheidungsfindung.
Voraussetzung für fachlich begründbares/ legitimes Verhalten ist natürlich, dass auch aus der Sicht des Kindes/ Jugendlichen die/der PädagogIn nachvollziehbar ein pädagogisches Ziel verfolgt. Das wiederum erfordert entsprechendes, für den jungen Menschen verständliches Erklären. Für Strafen bedeutet dies, dass einerseits zwischen dem Fehlverhalten des/r Kindes/ Jugendlichen und der Sanktion ein innerer Zusammenhang besteht, andererseits der pädagogische Sinn der Sanktion vermittelt wird.
Grundlage „fachlicher Legitimitätt“ sollten Handlungsleitsätze sein. Am Beispiel „Schlagen“ wird deutlich, wie wichtig klarstellende Leitlinien sind:
- Papst Franziskus bejaht „würdevolles Schlagen“.
- Schlagen ist aber grundsätzlich ungeeignet, ein pädagogisches Ziel zu verfolgen, ist mithin fachlich illegitim (unbegründbar).
- Schlagen braucht keine strafrechtliche Rechtfertigung i.S. eines „Züchtigungsrechts“ (Heimgeschichte). Es widersprach und widerspricht ethischen Anforderungen, hätte bereits damals als „fachlich illegitim“ geächtet werden müssen, nicht erst im Jahr 2000 gesetzlich. Dass dies nicht geschah, war dem Zeitgeist geschuldet und der Tatsache, dass – wie auch heute noch – ausformulierte Erziehungsethik fehlte. Im Übrigen: warum wurde zum Teil ausschließlich die Rechtslehre fokussiert? Weil es sich die Fachwelt mit dem juristischen „Züchtigungsrecht“ einfach machte und nicht – wissenschaftlich abgesichert- pädagogische Ziele hinterfragte? Vielleicht bot und bietet die Erziehungswissenschaft insgesamt zu wenig belastbare Feststellungen und Standards: laut Professor Schwabe sind nur ca 10% der pädagogischen Praxis wissenschaftlich gesichert.
- Auch aus Praktikabilitätsgründen kann nicht zwischen „würdevollem“ und „entwürdigendem“ Schlagen unterschieden werden. Schlagen ist ungeeignet, der Persönlichkeitsentwicklung zu dienen, da das Kind/ die/ der Jugendliche es als seelisch oder gar körperlich verletzend empfinden muss, ob nun ins Gesicht oder „nur“ auf den Po geschlagen wird.
- Sofern jedoch das Kind/ die/ der Jugendliche einen Klaps als Aufmunterung oder Form von Zuwendung empfinden kann, liegt darin ein probates Mittel, ein pädagogisches Ziel zu erreichen, ist Handeln fachlich legitim.
- Die mit der Äußerung des Papstes verbundene Diskussion zeigt, wie wenig hilfreich das „Gewaltverbot“ des § 1631 II BGB mit dem Begriff „entwürdigende Maßnahme“ ist. Zugleich wird freilich die Bedeutung fachlicher Leitlinien verdeutlicht, in denen rechtliche Begriffe wie Kindeswohl, „Gewalt“ und „entwürdigende Maßnahme“ fachlich konkretisiert werden sollten.
- Hier ein Beispiel Handlungsleitsätze – päd. Grundhaltung Jugendhilfe- Intensivgruppe