Willkürverbot in der Verwaltung


Beliebigkeitsgefahr


Willkürverbot in Behörden

1. Allgemeines

Für staatliche Aufgaben wie das „Wächteramt“ des Jugendamtes, die Einrichtungsaufsicht des Landesjugemdamtes (§§ 45ff Sozialgesetzbuch VIII/ SGB VIII) oder die Schulaufsicht gilt das „Willkürverbot“: der Staat – im Gegensatz zu Privaten – darf nicht willkürlich entscheiden, vielmehr nur aus sachlichem Grund. Dieses Verbot ist dem Rechtsstaatsprinzip im Kontext der „Gesetz- mäßigkeit der Verwaltung“ zuzuordnen (Art. 20 III Grundgesetz/ GG). Es gehört nach Art 79 III GG zu den unantastbaren Grundsätzen der verfassungsrechtlichen Ordnung und gilt für jede staatliche Gewalt. Im Grundgesetz ist das „Willkürverbot“ neben dem Rechtsstaatsprinzip u.a. im „Allgemeinen Gleichheitssatz“ des Art. 3 I GG verankert.

Bezogen auf staatliche Entscheidungen – der Legislative, Exekutive, Judikative – bedeutet „Willkür“ das Fehlen eines sachlichen Grundes und damit einen Verstoß gegen Verfassungsprinzipien. „Willkür“ liegt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vor, wenn „Rechtsanwendung nicht nur fehlerhaft, sondern unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht“ (1 BvR 3271/14). Dabei ist „Willkür“ im objektiven Sinn zu verstehen, ohne Schuldvorwurf. Sofern Grundrechtsträger betroffen sind, stellen willkürliche Entscheidungen einen Verstoß gegen den „Allgemeinen Gleichheitssatz“ (Art. 3 I GG) dar.

Was Entscheidungen im Rahmen staatlicher Gewalt von Verwaltungsbehörden betrifft, ist dem Rechtsstaatsprinzip widersprechende „Willkür“ in zweierlei Hinsicht denkbar:

  • im Rahmen von Ermessen (Ziffer 2.)
  • in der Auslegung „unbestimmter Rechtsbegriffe“ wie z.B.  „Kindeswohl“ (Beurteilungsspielraum/ Ziffer 3.). Hierzu werden für die Jugendhilfe in Zusammenhang mit dem Projekt Pädagogik und Recht nachfolgend Aussagen getroffen (Ziffer IV).

2. Ermessen im Verwaltungsrecht

Ermessen ist ein juristischer Fachbegriff. Er räumt einem behördlichen Entscheidungsträger gewisse Freiheiten bei seiner Entscheidungsfindung ein. Die mit Abstand größte Bedeutung hat Ermessen im Verwaltungsrecht. Es ist hier ein Aspekt der Rechtsfolgenseite behördlicher Entscheidungen, betrifft also die Frage, ob eine Behörde bei Vorliegen gesetzlicher Voraus- setzungen eine bestimmte Entscheidung treffen muss oder kann: Ermessen hat eine Behörde dann, wenn ihr, trotz Vorliegen aller tatbestandlichen Voraussetzungen einer Rechtsnorm, „Spielraum für eine eigene Entscheidung“ verbleibt. Strukturell ist das Ermessen damit der Gegenbegriff zur „gebundenen Entscheidung“, bei der eine ganz bestimmte Rechtsfolge angeordnet wird und die Behörde keinen Entscheidungsspielraum hat.

3. Beurteilungsspielraum von Verwaltungsbehörden         

In der Rechtswissenschaft wird von einem Beurteilungsspielraum gesprochen, wenn der Gesetzgeber der ausführenden Gewalt einen bestimmten Beurteilungsrahmen darüber zugesteht, ob das Tatbestandsmerkmal einer Rechtsnorm wie z.B. das „Kindeswohl“ erfüllt ist. Beurteilungsspielräume stehen der Exekutive nur im Ausnahmefall zu. Es bedarf hierzu  eines unbestimmten Rechtsbegriffs wie z.B. das „Kindeswohl“ oder das „öffentliche Interesse“. Bei der Anwendung solcher Begriffe auf konkrete Fälle kann es passieren, dass die Frage nach dem Vorliegen des Tatbestandsmerkmals unterschiedlich beurteilt werden kann und beide Ansichten vertretbar erscheinen. In diesen Fällen ist es fraglich, ob ein Gericht vollumfänglich nachprüfen kann, ob die Behörde „richtig“ entschieden hat oder ob man ihr einen bestimmten Beurteilungsspielraum zuerkennen muss. Sollte Letzteres der Fall sein, wäre die Entscheidung gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar: begrenzt auf die nachvollziehbare Anwendung den Beurteilungsspielraum begrenzender Leitlinien im Einzelfall.

Beurteilungsspielräume kommen nur auf der sogenannten Tatbestandsebene vor. Die von dem Beurteilungsspielraum zu unterscheidende und grundsätzlich erlaubte Ermessensentscheidung (Ziffer 2) bezieht sich hingegen auf die Rechtsfolgenseite.