Objektivierbare Entscheidungen ?
I. VORBEMERKUNGEN
Die seit einiger Zeit in der Jugendhilfe diskutierte Idee, neutrale Ombudspersonen zu installieren, ist zunächst zu begrüßen: für Einrichtungen, in denen sich Kinder und Jugendliche ganztägig oder für einen Teil des Tages aufhalten oder in denen sie Unterkunft erhalten (§ 8b II SGB VIII). Die Ombudschaft ist insoweit vor allem als Konsequenz der Nachkriegsheimgeschichte zu sehen, nunmehr im SGB VIII als Pflicht zum Beschwerdemanagement verankert (§ 45 SGB VIII). Abgeleitet wird sie aus dem Partizipationsrecht (§ 8 SGB VIII).
§ 8b II SGB VIII lautet:
Träger von Einrichtungen, in denen sich Kinder oder Jugendliche ganztägig oder für einen Teil des Tages aufhalten oder in denen sie Unterkunft erhalten, und die zuständigen Leistungsträger, haben gegenüber dem überörtlichen Träger der Jugendhilfe Anspruch auf Beratung bei der Entwicklung und Anwendung „fachlicher Handlungsleitlinien“:
- zur Sicherung des Kindeswohls und zum Schutz vor Gewalt sowie
- zu Verfahren der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an strukturellen Entscheidungen in der Einrichtung sowie zu Beschwerdeverfahren in persönlichen Angelegenheiten.
„Fachliche Handlungsleitlinien“ sind demnach vorgesehen.
- in materieller Hinsicht zur pädagogischen Grundhaltung der Anbieter, was im Wesentlichen Inhalt dieser Website ist.
- in Bezug auf Verfahren zur Partizipation, insbesondere zu Beschwerdeverfahren.
Leider sind Fachdiskussionen/ – tagungen oft begrenzt auf den 2. Aspekt „fachlicher Handlungsleitlinien“, d.h. auf Fragen des Beschwerdemanagements, vor allem der Ombudschaft. Das wirkt so, als ob es nur darauf ankäme, Beschwerdeverfahren/ Ombudschaften einzurichten. Jedoch: was beinhalten solche Beschwerden? Anhand welcher Kriterien sind Entscheidungen der Ombudspersonen zu treffen? Im Rahmen welcher sachlichen Prüfung gelangen Ombudspersonen sie zu ihren Empfehlungen? Müssen sie nicht inhaltlich mit der Frage befasst sein, was Machtmissbrauch bedeutet? Wer definiert „Machtmissbrauch“? Letzteres sollte eine Konsequenz aus der Nachkriegsheimgeschichte sein.
Ziele der Ombudschaft sind folglich: Transparenz und Vermeiden von Machtmissbrauch. Also gilt es, Ombudspersonen Entscheidungskriterien an die Hand zu geben, wann Machtmissbrauch vorliegt.
II. OMBUDSCHAFTSARTEN
Es gibt zur Zeit – wenn auch nur z.T. installiert – in der Jugendhilfe zwei Arten der Ombudschaft :
- Ombudschaft stationäre Erziehungshilfe bedeutet Transparenz für besseren Kindesschutz in der stationären Erziehungshilfe: in Durchführung stationärer Erziehungshilfe nimmt auf der Grundlage des „Vorrangziels Kindeswohl“ (Art 3 UN- Kinderrechtskonvention) und des Partizipationsprinzips (§ 8 SGB VIII) eine für Anbieter und Jugendamt neutrale Vertrauensperson die Interessen des Kindes/ Jugendlichen wahr.
- Ombudschaft Leistungsanspruch mit Beratung und Unterstützung von Kindern/ Jugendlichen und Eltern/ Sorgeberechtigten bei Fragen der Leistungsansprüche des Sozialgesetzbuchs („sozialer Verbraucherschutz“), notfalls verbunden mit prozessualer Begleitung → z.B. Berlin BRJ .
III. KANN OMBUDSCHAFT STATIONÄRE ERZIEHUNGSHILFE GELINGEN?
Nur im Rahmen gelebter Beschwerdekultur und mit objektivierbaren Entscheidungen:
- Wie kann die „Ombudschaft stationäre Eriehungshilfe“ in der Notwendigkeit des Zugangs neutraler Personen gelebt werden, ohne pädagogische Prozesse zu stören? Wie kann – angesichts erheblicher Grauzonen – ein gemeinsames Kindeswohlverständnis der PädagogInnen und der Ombudsperson erreicht werden, d.h. z.B. eine einheitliche Sicht, was „Machtmissbrauch“ ist? Doch nur dadurch, dass der Träger i.R. fachlicher Legitimität „fachliche Handlungsleitlinien“ verantwortet (Trägerverantwortung), die auch von der Ombudsperson akzeptiert sind. In diesem Fall werden Missstände nicht nur aufgedeckt, vielmehr – nach entsprechender Empfehlung der Ombudspersonen – deren Beseitigung angegangen, notfalls durch die Leitung oder den Träger. Sofern eine Ombudsperson ein anderes Kindeswohlverständnis hat, d.h. insbesondere grenzwertige Situationen des pädagogischen Alltags – anders als der Anbieter – als Machtmissbrauch einstuft, muss dieser Dissens geklärt werden. Würde gleichwohl mit der Durchführung der Ombudschaft begonnen, sind Störungen pädagogischer Prozesse vorprogrammiert. Und – was auch hervor zu heben ist – Ombudspersonen sollten Berater der PädagogInnen sein, keine Kontrolleure.
- Ein Gelingen der „Ombudschaft stationäre Erziehungshilfe“ ist im Übrigen abhängig von:
- der Bereitschaft des Anbieters zu gelebter Beschwerdekultur, insbesondere zu offener Diskussionskultur
- verantwortungsbewusster „fehlerfreundlicher“ Leitung: die Leitung ist für die MitarbeiterInnen Ansprechpartner in Fragen pädagogischer Grundhaltung oder in Einzelfragen grenzwertiger Sitationen des pädagogischen Alltags, ohne bei Verdacht eines Machtmissbrauchs (ausgenommen Strafbarkeit) arbeitsrechtliche Konsequenzen zu initiieren.
- „Fachlichen Handlungsleitlinien“ mit Definition des Begriffs „Machtmissbrauch“, das heißt die Inhalte fachlicher Legitimität erläuternd. Fehlen objektivierbare Handlungsleitlinien, kann nur subjektives Entscheiden der PädagogInnen durch Subjektivität der Ombudsperson ersetzt werden, sind diese also überflüssig und eher störend.
- Ombudschaft Leistungsanspruch:
- Kinder/ Jugendliche oder deren Eltern/ Sorgeberechtigte werden in Fragen des Sozialgesetzbuchs unterstützt und begleitet
- Sofern diese Ombudschaft installiert ist, wird sie umfassend in Anspruch genommen, wenn auch weitgehend ohne Unterstützung der primär verantwortlichen Jugendämter, die darin leider eine Konkurrenz sehen. Tatsache jedoch ist, dass – z.B. in Berlin – auch die Jugendämter durch die Beratung der Ombudspersonen profitieren.