Macht- Machtmissbrauch


Stop dem Machtmissbrauch !


 

VERGANGENHEIT AUFARBEITEN UND KONSEQUENZEN ZIEHEN – URSACHE VON MACHTMISSBRAUCH IN DER ERZIEHUNG BESTEHT HEUTE NOCH: GRENZE FACHLICH LEGITIMER ERZIEHUNG UNKLAR!

Massive Kinderrechtsverletzungen in der Vergangenheit:
 
1. Machtmissbrauch an ehemaligen Heimkindern:
 
2. Machtmissbrauch an „Verschickungskindern“:
 
Abgesehen davon, dass die Intensität des Machtmissbrauchs in der Vergangenheit gravierender war, stellt das Projekt Pädagogik und Recht/ https://www.paedagogikundrecht.de/ heute fest, dass sich dem Grunde nach nichts verändert hat. Nach wie vor besteht keine Orientierung, anhand welcher objektivierbarer Voraussetzung Erziehung von Machtmissbrauch abgegrenzt wird. Zwar ist seit 2000 „Gewalt“ in der Erziehung gesetzlich geächtet, jedoch wurde dieses „Gewaltverbot“ bisher nicht konkretisiert: wann liegt eine s.g. „entwürdigende Maßnahme“ vor?
 
Der Wegfall des „Züchtigungsrechts“ definiert zwar Straftaten wie Körperverletzung als Machtmissbrauch, wann aber das Handeln von Pädagog*innen außerhalb der Strafbarkeit fachlich illegitim ist, bleibt offen. Wann stellt sich z.B. das Festhalten eines Kindes als Machtmissbrauch dar? Darf ich in dieser Weise ein pädagogisches Gespräch fortführen, das ein Kind vorzeitig beenden will?
 
Der Gesetzgeber ist gefragt: Wann folgt dem 1. Schritt des „Gewaltverbots in der Erziehung“ der 2. Schritt der Politik, in der Erziehung den „Gewalt“begriff und damit den „unbestimmten Rechtsbegriff Kindeswohl“ zu konkretisieren? „KINBDESRECHTE IM GRUNDGESETZ“ zu verankern, ist nur ein Einstieg in die Grauzone mangelhafter Abgrenzung der Erziehung von Machtmissbrauch. Wichtiger ist es, im Bürgerlichen Gesetzbuch die „Unverletzbarkeit des Kindesrechts auf fachlich begründbares Handeln in der Erziehung“ einzufügen, zumindest für die professionelle Erziehung der Jugendhilfe im Sozialgesetzbuch VIII. Es wäre damit klargestellt, dass Handeln nur dann „fachlich legitim“ und keine „Gewalt“ ist, wenn es aus der Sicht einer gedachten neutralen Fachkraft geeignet ist, ein pädagogisches Ziel der „Eigenverantwortlichkeit“ bzw. der „Gemeinschaftsfähigkeit“ zu verfolgen (Perspektivwechsel).

I. WAS BEDEUTEN „MACHT“ UND „GEWALT“ ?

1. „Macht“ ist gleichzusetzen mit der Verantwortung, die im Zusammenhang mit der Erziehung wahrgenommen wird,

  • als pädagogische Macht:
    1. Zuwendung, Überzeugung, Vorbild, Achtsamkeit, Wertschätzung
    2. Eingriff in ein Kindesrecht durch pädagogische Grenzsetzung
  • oder als Aufsichtsmacht: Maßnahme in der Aufsichtsverantwortung, z.B. Abwehr akuter Gefahr, die vom Kind/ Jugendlichen ausgeht.

2. „Machtmissbrauch“ (Ziffer II) bedeutet „Gewalt“ im Sinne §1631II BGB, stellt sich als „entwürdigende Maßnahme“ im Kontext des seit 2001 geltenden „Gewaltverbots in der Erziehung“ dar, somit auch als Kindesrechtsverletzung


II. WAS BEDEUTET „MACHTMISSBRAUCH“ ?

Wann begeht der Mensch Machtmissbrauch?

Hierzu dieses Projekt Pädagogik und Recht: Machtmissbrauch liegt vor, wenn Macht ohne nachvollziehbare ethisch vertretbare Begründung ausgeübt wird, in ausschließlich subjektiver Begründung „der Zweck die Mittel heiligt“. Verlässt der Mensch ethische Prinzipien begeht er Machtmissbrauch.

Im Einzelnen:

1. In der Erziehung wird oft vom s.g. „natürlichen Machtüberhang“ gesprochen. Dabei ist davon auszugehen, dass „Macht“ mit „Verantwortung“ gleichgesetzt ist, das heißt Angebote/ Einrichtungen Verantwortung auf der Grundlage eines Erziehungsauftrags Sorgeberechtigter wahrnehmen. Wir betonen das, weil wir päd. Fachkräfte erleben, die den Begriff „Macht“ meiden, weil er negativ belegt sei.

In unserem Sinn ist „Machtmissbrauch“ in der Erziehung = nicht verantwortbares Wahrnehmen des Erziehungsauftrags. Das wiederum würde bedeuten, dass das Handeln nicht nachvollziehbar ein päd. Ziel verfolgt und insoweit nicht begründbar ist = illegitim, weil weder das Ziel der „Eigenverantwortlichkeit“ noch der „Gemeinschaftsfähigkeit“ (§ 1 SGB VIII) nachvollziehbar verfolgt wird. In diesem Kontext ist freilich auch zu bewerten, ob der Erziehungsauftrag selbst als „Machtmissbrauch“ einzustufen ist: diese Bewertung folgt den selben Prinzipien, an denen sich das Handeln der Beauftragten oientiert.

2. Wann liegt in der Jugend-/ Behindertenhilfe, in Schulen/ Internaten und in der stationären Kinder- und Jugendpsychiatrie „Machtmissbrauch“ vor? Hierzu bietet das Projekt PädagogInnen und Behörden praxisgerechte Antworten:

Machtmissbrauch liegt in unterschiedlicher Form vor:

a.  Verhalten der PädagogInnen ist bei Grenzsetzungen „machtmissbräuchlich“,

  • wenn es zwar fachlich begründbar ist, d.h. das Verfolgen eines pädagogischen Ziels erkennen lässt, jedoch die Zustimmung Sorgeberechtigter fehlt und keine akute Eigen- odere Fremdgefährdung des/r Kindes/Jugendlicher/n vorliegt, auf die „geeignet“ und „verhältnismäßig“ reagiert wird (Bemerkung: in Einrichtungen der Erziehungshilfe ist beim Umgang mit Taschengeld die Zustimmung des/r Kindes/ Jugendlichen erforderlich).
  • wenn es fachlich nicht begründbar ist und keine akute Eigen- oder Fremdgefährdung des/r Kindes/Jugendlicher/n vorliegt, auf die „geeignet“ und „verhältnismäßig“ reagiert wird.
  • wenn es sich als Kindeswohlgefährdung darstellt.
  • wenn es als strafbar einzustufen ist.

b.  Machtmissbrauch in Behörden („Willkürverbot“) liegt in folgenden Fällen vor:

  • Eine Entscheidung ist fachlich nicht begründbar, d.h. sie beinhaltet keine nachvollziehbare Voraussetzung für die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern/ Jugendlichen, oder aber sie entspricht nicht der Rechtsordnung.
  • Eine Entscheidung verletzt Art. 3 CRC (UN Kinderrechtskonvention), d.h. sie ist nicht vorrangig auf das Kindeswohl ausgerichtet. Letzteres ist der Fall, wenn Eigeninteressen im Vordergrund stehen oder sachfremde Erwägungen.
  • Eine Entscheidung stellt sich als „kindeswohlgefährdend“ oder als Straftat dar.

III. PROJEKT – GRUNDSÄTZE – „Kategorischer Imperativ der Pädagogik“

Wir sprechen vom „Kategorischen Imperativ der Pädagogik“: „Entscheide und verhalte dich so, dass du einer für Alle geltenden Maxime fachlicher Begründbarkeit entsprechen kannst“.

Daraus leiten wir diese 10 Grundsätze ab:

1. Wir gestalten eine Brücke im Spannungsfeld Pädagogik – Kindesrechte.

2. Unser Ziel: Stärkung des Kindesschutzes und der Handlungssicherheit durch fachlich legitimes/ begründbares Handeln der Pädagog*nnen in schwierigen Situationen des Erziehungsalltags sowie durch fachlich und rechtlich nachvollziehbare Entscheidungen zuständiger Behörden (Jugendamt/ Landes-, Schulaufsicht).

3. Fachlich legitim/begründbar ist das Handeln, das aus der Sicht einer gedachten neutralen Fachkraft (Perspektivwechsel) geeignet ist, ein pädagogisches Ziel der Eigenverantwortlich- keit und/ oder der Gemeinschaftsfähigkeit zu verfolgen (§ 1 Sozialgesetzbuch VIII/ SGB VIII). Bei einer physischen Grenzsetzung (z.B. am Arm fassen, um ein pädagogisches Gespräch fortzuführen) ist zusätzlich die Frage zu stellen, ob das Handeln „angemessen“ ist, das heißt geeignet und verhältnismäßig. „Verhältnismäßig“ bedeutet, dass keine andere physische Grenzsetzung in Betracht kommt, die weniger intensiv in das Kindesrecht eingreift. Und: nur wenn eine vorherige verbale Grenzsetzung zeitlich unmöglich oder erfolglos war, ist die physische Grenzsetzung „angemessen“, das Handeln fachlich legitim/begründbar.

4. Ist Handeln fachlich legitim/begründbar, entspricht es dem Kindeswohl. Wir verbinden dies mit dem Anspruch bestmöglicher Wirksamkeit: mit der prognostischen Wahrscheinlichkeit, dass ein pädagogischen Ziel erreicht wird.

5. Wir stellen fest, dass die Erziehungswissenschaft und die Rechtsordnung derzeit keine Antworten bieten, welches Handeln dem Kindeswohl entspricht. Wir konkretisieren daher den „unbestimmten Rechtsbegriff Kindeswohl“, indem wir die Pädagogik und das Recht in diesem Kernsatz integrativ verbinden: in der Erziehung kann nur fachlich legitimes/begründbares Handeln rechtmäßig sein.

6. Wir stehen mit diesem Kernsatz im Spannungsfeld Pädagogik – Kinderrechte für ein neues Kindeswohlverständnis der Pädagog*innen und Behörden. Zur Abgrenzung fachlich legitimen/ begründbaren Handelns von Machtmissbrauch (unzulässiger Gewalt) bieten wir fachlich- rechtlich integrative Prüfschemata an, die auch in familiärer Erziehung unterstützen können.

7. Wir erkennen einen gesellschaftlichen Doppelauftrag in der Erziehung, unterscheiden Zwang als pädagogische Grenzsetzung und Zwang im Rechtsinstitut der „Gefahrenabwehr“.

8. Die Gefahrenabwehr beinhaltet die Befugnis, bei akuter Eigen- oder Fremdgefährdung des/r Kindes/Jugendlichen in ein Kindesrecht einzugreifen, z.B. bei einem körperlichen Angriff auf andere durch Festhalten in das Recht der körperlichen Unversehrtheit. Von „akuter Eigen- oder Fremdgefährdung“ ist auszugehen bei gegenwärtiger Lebensgefahr oder schwerwiegender Gesundheitsgefahr des/r Kindes/Jugendlichen selbst oder einer anderen Person. Die Reaktion darauf muss geeignet und verhältnismäßig sein („rechtfertigender Notstand“ im Strafrecht). Eine Eignung ist erst mit pädagogischer Aufarbeitung der Gefahrenabwehr- Situation gegeben und „Verhältnismäßigkeit“ setzt voraus, dass keine andere Maßnahme in Betracht kommt, die weniger intensiv in das Kindesrecht eingreift. Im Ergebnis liegt im Falle der rechtlich zulässigen Gefahrenabwehr keine Kindesrechtsverletzung vor.

9. In der Abgrenzung zum Machtmissbrauch/ Gewalt halten wir die Reflexion der Pädagog*innen und zuständigen Behörden in drei aufeinander aufbauenden Stufen für unentbehrlich:

– erste Stufe der persönlichen Haltung: Welches Handeln entspricht meiner pädagogischen Haltung?

– zweite Stufe der fachlichen Legitimität: ist mein Handeln geeignet, ein pädagogisches Ziel der Eigenverantwortlichkeit und/oder Gemeinschaftsfähigkeit zu verfolgen?

– dritte Stufe der rechtlichen Zulässigkeit: liegt die Zustimmung Sorgeberechtigter vor, sei es weil für sie vorhersehbar gehandelt wird oder sie ausdrücklich zustimmen? Im Falle fachlicher Illegitimität lautet die Frage: wird auf eine akute Eigen- oder Fremdgefährdung des/r Kindes/ Jugendlichen reagiert (Gefahrenabwehr)? Ist dies zu bejahen, ist das Handeln auch ohne die Zustimmung Sorgeberechtigter rechtmäßig.

10. Zur Stärkung des Kindesschutzes und der Handlungssicherheit der Pädagog*innen sowie der zuständigen Behörden empfehlen wir Handlungsleitsätze, die in einem „Fachdiskurs legitimes Handeln“ entwickelt werden, ausgerichtet auf Grenzsetzungen in schwierigen Situationen des Erziehungsalltags. Diese sollen im Rahmen fachlicher Legitimität und rechtlicher Zulässigkeit Orientierung bieten, unter anderem in der Erziehungshilfe des SGB VIII.

Die genannten Grundsätze basieren auf den Erziehungsgrenzen, wie diese bereits Kant beschrieben hat: „die Einschränkung der Freiheit ist nur in dem Maße gerechtfertigt, wie sie sich im Interesse zukünftiger Freiheit (Selbständigkeit) als erforderlich erweist.“


IV. MACHTMISSBRAUCH – BEGÜNSTIGENDE ASPEKTE

Von folgenden Machtmissbrauch begünstigenden Aspekten ist bei Anbietern auszugehen:

V. UND JUGENDHILFE- BEHÖRDEN ?

Vorweg die Position einer inzwischen selbständigen Pädagogin: „Ich habe auf der anderen Seite gearbeitet, im stationären und ambulanten Bereich. Natürlich habe ich zum einen hier festgestellt, dass es vielfach in Jugendämtern a) keine Kritierien gab und b) diese sehr individuell waren und c) Entscheidungen von eigenen Themen durchflutet waren. Dass hier Handlungsunsicherheiten aufkommen und es zu rechtproblematischen Entscheidungen kam bzw. kommt – das kann ich nur bestätigen.“

Das Rechtsstaatsprinzip ist in der Landesjugendamt – Einrichtungsaufsicht gefährdet !

Wollen Landesjugendämter einen Beitrag zu gestärkter Handlungssicherheit und damit zum Kindesschutz leisten? Das erfordert in den Entscheidungen weniger Subjektivität, stattdessen Nachvollziehbarkeit: Reduzierung der Beliebigkeitsgefahr bei Kindeswohl- Interpretationen. Da Landesjugendämter keiner fachkompetenten externen Aufsicht unterliegen, ist eine dementsprechend selbstkritische Haltung Grundvoraussetzung für eine qualfizierte Aufgabenwahrnehmung.

1. LANDESJUGENDÄMTER MÜSSEN QUALITÄTSDIALOGE ANBIETEN

ES ENTSPRICHT NICHT DEM RECHTSSTAATSPRINZIP, wenn beratungspflichtige Behörden wie ein Landesjugendamt und Schulaufsicht zu wichtigen Themen des päd. Alltags schweigen, etwa zum Thema „Wann beginnt Machtmissbrauch in der Erziehung – Welche Reaktionen sind in schwierigen Situationen fachlich begründbar/ legitim“ und stattdessen Behörden- MitarbeiterInnen nach eigener persönlicher päd. Haltung Aufsichtsentscheidungen treffen, denen keine nachvollziehbare objektivierende Entscheidungskriterien zugrunde liegen. Dazu 2 Stellungnahmen:

a. Detlef Diskowski, früher Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg, nun aktiv z.B. im Forum zur Kindertagesbetreuung in Brandenburg/ heute https://kita-brandenburg.de/ :„Aus meiner Sicht gibt es hierzu viele Gründe:

– „Feigheit“ = wenn man nichts macht, kann man auch nichts falsch machen; man kann nicht auf irgendetwas festgenagelt werden (deshalb ist auch verbieten leichter als erlauben)

– „Unkenntnis der konkreten Problemlagen und fehlende päd. Handlungskompetenz“ = deshalb ist es auch so schwer, oben vom Turm Orientierendes zur Praxis beizutragen.

– Weil wir keine Tradition (insbes. im Westen) der Befassung mit dem Handwerkszeug der Pädagogik haben. Wir können tagelang über Konzepte und Annahmen (Theorien sind das selten) schwadronieren, aber kaum über die konkrete Handlungsebene.“

b. (Will anonym bleiben) „Nicht nur Pädagogen brauchen einen Qualitätsdialog. Ich denke das er auch in der Sozialen Arbeit bzw. in allen Sozialberufen dringend nötig ist. Es werden in all diesen Bereichen unbedingt mehr verbindliche Standards benötigt. Nicht nur in Fällen von Kinderschutz oder ähnlichen Situationen.“

2. LEITSÄTZE ALS BASIS FÜR EINEN QUALITÄTSDIALOG

In der Pädagogik kann nur fachlich begründbares/ legitimes Handeln rechtens sein. Dabei ist natürlich die fachliche Diskussion zu führen, woran sich die fachliche Begründbarkeit/ Legitimität orientiert. Noch gibt es z.B. keine „Leitsätze der Jugendhilfe“, die dabei Orientierung böten. Hier ein Lösungsansatz:

Handlungsleitsätze Erziehungshilfe

3. ANTWORTEN DER BAGLJÄ (Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter) ?

Die BAGLJÄ nennt in ihren Empfehlungen zum Bundeskinderschutzgesetz unter Ziffer IV.1.1a zum FEHLVERHALTEN VON MITARBEITERINNEN u.a. folgende Sachverhalte:
  • Aufsichtspflichtverletzung
  • Verursachte oder begünstigte Übergriffe / Gewalttätigkeiten
  • sexuelle Gewalt
  • unzulässige Strafmaßnahmen, herabwürdigende Erziehungsstile, grob unpädagogisches, vorwiegend verletzendes Verhalten, Kindesrechtverletzung

Das hilft wohl nicht weiter: was bedeutet z.B. „grob unpädagogisch“?

Vor allem der letzte Sachverhalt führt nach den bundesweiten Projekterfahrungen zu erheblicher Interpretationsproblematik. Z.B. die Formel „grob unpädagogisch“ öffnet Tür und Tor für ausschließlich subjektive Bewertungen, verbunden mit Beliebigkeitsgefahr. Die Begriffsfindung der BAGLJÄ lässt zwar den Willen erkennen, dem Kindesschutz Rechnung zu tragen, tatsächlich aber zeigt sie, wie wichtig es ist, dass PädagogInnen, Behörden und sonstig Beteiligte der Kindeswohl- Interpretation ein gemeinsames Kindeswohl- Bewertungssystem zugrunde legen. Das wiederum bietet das Projekt an, wenn es im Rahmen des „unbestimmten Rechtsbegriffs Kindeswohl“ Strukturen vorschlägt. Jedenfalls sind die von der BAGLJÄ vorgeschlagenen Begriffe zu „schwammig“, um darauf aufbauend Kindesschutz zu gewährleisten. Im Interesse des Kindesschutzes und der dafür unabdingbaren Handlungssicherheit Verantwortlicher sollte eine Konkretisierung erreicht werden, was in Einrichtungen unter „Fehlverhalten von MitarbeiterInnen“ zu verstehen ist. Hierfür können die fachlich- rechtlichen Strukturen des Projekts herangezogen werden, insbesondere in der Abgrenzung „Verantwortbare Macht – Machtmissbrauch“.

Arten des Machtmissbrauchs

Für die Ombudschaft gilt gleiches. Auch Ombudspersonen benötigen eine Konkretisierung, was „Fehlverhalten“, mithin „Machtmissbrauch“ unter fachlichem und rechtlichem Aspekt beinhaltet. Nur dann kann das Instrument der Ombudschaft verwertbare und nachvollziehbare Empfehlungen/ Beratungen im Rahmen qualifizierter Verantwortung aussprechen, wobei das Verständnis, was „Fehl- verhalten“ ist, im Einklang mit der Sichtweise der Landesjugendämter stehen sollte.


Handlungsleitsätze Erziehungshilfe und Prüfschemata:

Drei Stufen des Reglementierens


Regeln: fachlich verantwortbar?


I. STUFEN DES REGLEMENTIERENS

Anbieter können in dreierlei Hinsicht Regeln aufstellen:

  • Regeln in der Hausordnung: Inhalt des mit Eltern/ Sorgeberechtigten abgeschlossen Betreuungsvertrags. Beispiele: Verbot bestimmte persönliche Gegenstände wie PC in die Einrichtung mitzubringen, Nachtruhegebot. Es handelt sich um Regeln, die der Anbieter im Interesse des „gedeihlichen Zusammenlebens“ für erforderlich hält. Dabei geht es primär nicht darum, bestimmte pädagogische Ziele zu erreichen (pädagogische Regel).
  • Regeln zur Gefahrenabwehr: im Einzelfall für ein/e Kind/ Jugendliche/n wegen Eigen- oder Fremdgefährdung festgelegt. Beispiel: Verbot einer Stablampe, die wegen Aggressivität als Waffe benutzt werden kann. Bemerkung: eine entsprechende Gruppenregel käme nur in Betracht, wenn und solange von allen Gruppenmitgliedern eine Fremdgefährdung ausgeht.
  • Pädagogische Regeln: für eine Gruppe oder ein/e Kind/ Jugendliche/n mit pädagogischem Ziel festgelegt. Beispiel für eine pädagogische Gruppenregel: jede/r übernimmt Aufgaben für die Anderen, etwa hinsichtlich Raumsäuberung oder Küchendienst. Beispiel einer individuellen pädagogischen Regel: Vorenthalten eines Gegenstandes, verbunden mit der Vereinbarung, diesen im Rahmen eines Verstärkerplans zu erwerben. Bemerkung: individuellen pädagogischen Regeln sollte wegen des auf den Erziehungsbedarf der/s einzelnen Kindes/ Jugendlichen ausgerichteten Zwecks gegenüber pädagogischen Gruppenregeln der Vorzug gegeben werden. Individuelle pädagogische Regeln und pädagogische Gruppenregeln unterliegen dem Anforderungsprofil der „fachlichen Begründbarkeit“ (Prüfschema 1  Prüfschema 1 Diagramm  Prüfschema 2  Prüfschema 3  Prüfschema 4)

Anhand des Prinzips „3 Stufen des Reglementierens“ lässt sich darstellen, dass eine Regel auf allen 3 Stufen ausgesprochen werden kann: zum Beispiel das Verbot des Besitzes einer Stablampe als generelle Vorgabe der Hausordnung, als individuelles Verbot mit dem Ziel der Gefahrenabwehr und als individuelle pädagogische Regel, verbunden mit einem Verstärkerplan. Entscheidend ist stets das verfolgte Ziel. Auch wenn rechtlich betrachtet in der Stufe der Hausordnung vieles reglementiert werden kann, wird doch empfohlen, einerseits nicht zuviel zu reglementieren, andererseits den Großteil der Regeln in der individuellen Stufe pädagogischer Regeln zu setzen, in der individuellen Stufe der Gefahrenabwehr nur, wenn die Mittel der Pädagogik ausgeschöpft sind.

Neben einzelnen Erziehungsmaßnahmen kann jede Regel im Rahmen des fachlich- rechtlichen Problemlösens i.S. des Einhaltens der fachlichen und der rechtlichen Erziehungsgrenze überprüft werden (Prüfschemata). Dies gilt entsprechend für die Leitung, den Träger oder einer Behörde wie Jugendamt, Landesjugendamt, Schulaufsicht. Die Prüfschemata sind also u.a. mit folgenden Fragen verknüpft :

  • Ist die Regel fachlich verantwortbar, d.h. verfolgt ein nachvollziehbares pädagogisches Ziel (Legitimität) ?
  • Entspricht die Regel den Gesetzen und der Rechtsprechung (Legalität) ?

II. WANN SIND STRAFEN LEGITIM, WANN LEGAL?

In welchem Rahmen sind Strafen (Reaktionen auf unerwünschtes Verhalten) fachlich verantwortbar und rechtlich zulässig?

Hierzu folgende Hinweise : Pädagogische Regeln, die mit Strafen verbunden sind, vefolgen das Ziel der Eigenverantwortlichkeit bzw. der Gemeinschaftsfähigkeit durch eine positive Verhaltensentwicklung. Dies ist in Zweifel zu ziehen, wenn die Strafe keinen nachvollziehbaren Bezug zu einem pädagogischen Ziel hat, z.B. ein unmittelbarer Bezug zum Anlassverhalten der/s Kindes/ Jugendlichen nicht erkennbar ist. Dann ist die „fachliche Verantwortbarkeit“ i.dR. auszuschließen, d.h. die Regel illegitim.


In diesem Zusammenhang sei auf folge Beispiele hingewiesen:

  • Strafen sind als „Pädagogische Grenzsetzungen“ denkbar: als fachlich verantwortbare und rechtlich zulässige Macht.
  • Nicht verantwortbar/ rechtlich unzulässig sind z.B. Bloßstellen vor Anderen oder verbale Erniedrigungen (entwürdigende Maßnahmen i.S. § 1631II BGB).

Heimgeschichte


Heimgeschichte: Konsequenzen


I. ANALYSE DER VERGANGENHEIT

Heimerziehung

    →   Macht und Gewalt in Heimen der 50er bis 70er Jahre

Ist die Vergangenheit aufgearbeitet? Reicht es, sich nach 40 Jahren zu entschuldigen und „Entschädigung“ zu zahlen, wenn – wie nachfolgend beschrieben – eine wichtige Ursache damaliger „Pädagogik“ auch heute teilweise weder erkannt noch beseitigt ist? Abgesehen davon, dass seelisches Leid – verbunden mit heute noch erforderlicher Therapie – finanziell nicht wiedergutgemacht werden kann, bleibt festzustellen, warum Schläge und Misshandlungen möglich waren und welche Konsequenzen für die Gegenwart daraus zu ziehen sind.

  • Der Begriff „Kindeswohl“ wurde ausschließlich im Zeitgeist subjektiv gelebt, unter anderem nach dem Prinzip „Schläge schaden nicht“. Dies bedeutet, dass weder die Kindesrechte ausreichend gesetzlich gesichert waren noch ein fachlicher Rahmen pädagogisch verantwortbaren Verhaltens bestand, der die berechtigten Interessen von Kindern und Jugendlichen in Erziehungsprozessen eingeschlossen hätte. Auch wenn aufgrund des „Züchtigungsrechts“ Schlagen legal war, hätten sich doch PädagogInnen fragen sollen, ob es fachlich begründbar ist. Stattdessen wurde Schlagen als selbstverständlicher Bestandteil der Erziehung gesehen. Fachlich begründbar wäre es aber nur, wenn damit nachvollziehbar ein pädagogisches Ziel verfolgt werden könnte. Dies ist freilich auszuschließen: Schlagen ist nicht geeignet, Eigenverantwortlichkeit oder Gemeinschaftsfähigkeit zu beeinflussen. Die pädagogische Fachwelt sollte sich auch fragen, warum es im Jahr 2001 eines Gesetzes bedurfte, um solche „Erziehungs“maßnahmen zu verbieten („Gesetz zur Ächtung von Gewalt in der Erziehung“). Fachverbände hätten dies besser zuvor in ausformulierter Erziehungsethik durch „Leitlinien pädagogischer Kunst“ sicherstellen sollen, d.h. Schlagen als fachlich unverantwortbaren pädagogischen Kunstfehler ausgliedern. Eine solche Struktur „fachlicher Begründbarkeit“ war nicht vorhanden.
  • Da sich die pädagogische Fachwelt nicht zur objektivierenden Struktur „fachlicher Begründbarkeit“ bekannte, vielmehr der Begriff „Kindeswohl“ weitgehend subjektiv interpretiert wurde, ausschließlich im Kontext der Legalität, war es möglich, dass sich erzieherische Elemente pädagogischer Grenzsetzung mit aufsichtstypischem Verhalten vermischten und militärähnlicher Drill wie Einsperren und Züchtigung als vertretbare „Erziehung“ begründet wurden. Aufsichtstypisches Verhalten, d.h. Verhalten zur Abwehr von Eigen- oder Fremdgefährdung, die vom Kind/ Jugendlichen ausgeht, verfolgt aber Ziele der Gefahrenabwehr, die mit pädagogischen Zielen in keiner Weise vergleichbar sind: so kann ein gezielter und angemessener Schlag legal sein, wenn er einem Angriff auf ein anderes Kind begegnet. Damit ist solche Gefahrenabwehr (Notwehr) freilich keinesfalls Bestandteil der Pädagogik.
  • Es mangelte also an einem Orientierungsrahmen „fachlicher Begründbarkeit“ i.S. von „Leitlinien pädagogischer Kunst“. So konnte propagierte Erziehungsstrenge Verhaltensformen annehmen, die nach heutigem Verständnis Verletzungen seelischer und körperlicher Gesundheit sind. Das Nichtvorhandensein von Handlungsleitlinien öffnete Tür und Tor für i.S. des Kindesschutzes nicht geignetes Verhalten.
  • Die Rechte von Kindern und Jugendlichen waren nicht nur mangelhaft beschrieben, vor allem bestand aufgrund einer umfassenden Grauzone keine Transparenz im Umgang mit den Kindesrechten. Was in den damals „geschlossenen Systemen“ geschah, wurde trotz Heimaufsicht der Landesjugendämter nicht evident. Es bestanden Grauzonen, zumal neutrale Beschwerdeverfahren fehlten.
Betrachten wir die Nachkriegsheimgeschichte im Detail, ist Folgendes festzustellen:
  • Es bestand eine Gemengelage von Erziehung und aufsichtstypischem Verhalten, z.B. in Form militärähnlichen Drills. Der Begriff „Kindeswohl“ wurde im Lichte des Zeitgeistes interpretiert, wonach z.B. „eine Ohrfeige niemandem schadet“.
    Befund: Keine Unterscheidung „Pädagogik – Aufsicht“
  • In der Nachbetrachtung entsteht der Eindruck der beliebigen Interpretation des „Kindeswohls“, ausschließlich i.S. der subjektiven Bewertung „was für das Kind/ den Jugendlichen richtig ist“. Diagnose: „Kindeswohlbeliebigkeit“ 
Was waren die Ursachen?
  • einerseits die Tatsache, dass die Kindesrechte nicht genügend gesetzlich beschrieben waren
    Ursache Nr. 1 = Kindesrechte- Gesetzeslücken
  • parallel hierzu – auch mangelhafte Absicherung der Kindesrechte bedingend – war eine eindeutige rechtliche Grenze der Erziehung nicht festgelegt, der Begriff „Kindeswohlgefährdung“ zu abstrakt
    Ursache Nr. 2 = gesetzlich nicht begrenzte Erziehungsverantwortung
  • andererseits war unklar, ob und mit welchem Inhalt erzieherisches Verhalten fachlich begründbar ist (fachliche Erziehungsgrenze)
    Ursache Nr. 3 = fehlende fachliche Erziehungsgrenze
  • schließlich bestand keine genügende Transparenz im Umgang mit den Kindesrechten
    Ursache Nr. 4 = fehlende Kinderrechte- Transparenz

II. WIE SIEHT ES HEUTE AUS ? WURDEN KONSEQUENZEN GEZOGEN ?

Ohne einen Vergleich mit den emotionalen und körperlichen Verletzungen von Kindern und Jugendlichen in Heimen der 50er bis 70er Jahre anzustellen, ist für die heutige institutionelle Erziehung zu fragen, welche Konsequenzen zu ziehen sind. Die Aufarbeitung der Vergangenheit darf sich nicht auf rechtsunverbindliche Entschuldigungen und „Entschädigungen“ begrenzen.

Aus der Vergangenheit gelernt?

Auf die heutige institutionelle Pädagogik projiziert, besteht die Erkenntnis, dass in der Vergangenheit für Misshandlungen relevante Ursachen nicht behoben sind, jedenfalls nicht umfassend:

  • Auch heute sind wichtige Kindesrechte gesetzlich nicht fixiert, z.B. in der Anordnung und Durchführung von Freiheitsentzug Ursache Nr. 1
  • Eine Initiative „Kindesrechte in die Verfassung“ scheiterte 2009, weil Teile der Politik der Auffassung waren, die Elternautonomie stünde dem entgegen. Ursache Nr. 2
  • Es fehlen „fachliche Handlungsleitlinien“ der Anbieter und – als Basis dafür – „Leitlinien pädagopgischer Kunst“, die den Rahmen „fachlicher Verantwortbarkeit“ beschreiben. Ursache Nr. 3
  • Auch mangelt es an Kindesrechte-Transparenz, da zum Teil weder Jugend noch Landesjugendämter in der Lage sind, die Kindesrechte im natürlichen Spannungsfeld „Pädagogik – Recht“ auf die Praxisebene zu projizieren (Spannungsfeld Pädagogik – Recht) und neutrale Beschwerdeinstanzen nicht eingerichtet sind. Ursache Nr. 4
  • Es wird nicht ausreichend zwischen Pädagogik und Aufsicht unterschieden →  Ursache Nr. 5

Auch heute noch werden zum Teil typische Aufsichtsmaßnahmen (Verhalten im Kontext der Gefahrenabwehr- Indikation) wie Postkontrolle, Kontaktsperre, Freiheitsentzug und „Beruhigungsraum“ in die Pädagogik „importiert“, d.h. in untauglichem Versuch pädagogisch begründet.So entspricht z.B. der Freiheitsentzug“ nicht den Anforderungen „fachlicher Begründbarkeit“: es ist nicht erkennbar, welches pädagogisches Ziel damit verfolgt werden könnte. Warum also streiten sich seit Jahrzehnten Fachkräfte in einer PRO- CONTRA- Diskussion über s.g. „geschlossene Gruppen“, wenn es doch dabei nicht um Pädagogik geht? Wenn typische Aufsichtsmaßnahmen in die Pädagogik „importiert“ werden, d.h. fehlerhafterweise pädagogisch begründet, ist von „pädagogischen Kunstfehlern“ auszugehen, die Kinder/ Jugendliche in ihrer Entwicklung negativ beeinflussen. Rechtlich betrachtet besteht die Gefahr, dass Voraussetzungen übersehen werden, die mit der Gefahrenabwehr i.R. von Aufsichtsverantwortung verbunden sind: „geeignetes“ und „verhältnismäßiges“ Reagieren auf eine Gefahr. Konsequenz kann sein, dass Kindesrechte verletzt werden.

Daher aus der Vergangenheit Konsequenzen ziehen:

  • Gestärkte Handlungssicherheit im pädagogischen Alltag durch Handlungsleitlinien im Kontext „fachlicher Begründbarkeit“
  • Im präventiven Kindesschutz: qualifizierte Beratung von Einrichtungen durch Landesjugendämter
  • Bessere Transparenz durch neutrale Beschwerdeverfahren, z.B. durch Ombudschaften