Trägerverantwortung


Unklaren Begriff klären !


I. GRUNDLEGENDES ZUR TRÄGERVERANTWORTUNG

Die Trägerverantwortung kennzeichnet die pädagogischen und administrativen Aufgaben eines Anbieters. Dieser hat unter fachlichem Aspekt Vorgaben zur pädagogischen Grundhaltung und Rechtmäßigkeit des Verhaltens zu setzen:

  • im Arbeitsvertrag durch Weisung, Aufsicht und Beratung, gegenüber freien MitarbeiterInnen durch vertraglich abgesichertes Einwirken/ Kontrolle/ Beratung, notfalls durch fristlose Kündigung. Unter administrativem Aspekt werden erforderliche personelle, sachliche und organisatorische Ressourcen zur Verfügung gestellt.

Die fachlich – pädagogischen und administrativen Aufgaben des Anbieters zu analysieren und in eine Definition zu kleiden, stellt eine besonders wichtige Strukturierungsidee dar. Dies gilt für Anbieter der Jugendhilfe ebenso wie der Behindertenhilfe, der Schulen/ Internate sowie der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Es geht darum, der Gefahr von Intransparenz „Geschlossener Systeme“ in der Tag- und Nachtbetreuung zu begegnen. Wenn Träger – wie leider allzu häufig – ihre Aufgabe lediglich darin sehen, in administrativem Kontext personelle, finanzielle, sachliche/ organisatorische Ressourcen zur Verfügung zu stellen, bleibt ihre inhaltliche Verantwortung für die pädagogisch und rechtlich einwandfreie Aufgabenerfüllung ihres Angebots unberücksichtigt. Die Folge ist, dass weder durch Vorgaben zur pädagogischen Grundhaltung noch zur Rechtmäßigkeit des Verhaltens eingewirkt wird, was Unsicherheiten der PädagogInnen und deren uneinheitliche pädagogische Haltung in Grenzsituationen der Betreuung bedingt. Dies kann dazu führen, dass Probleme nicht offen besprochen, kein Grundkonsens hergestellt, Unklarheiten nicht bereinigt und Kindesrechte vermehrt verletzt werden, ohne im Team oder durch die Leitung thematisiert zu werden.

Trägerverantwortung


II. TRÄGEREIGNUNG IM RAHMEN DER EINRICHTUNGSAUFSICHT

Ein Kriterium, um i.R. der präventiven Einrichtungsaufsicht des Landesjugendamtes (§ 45 SGB VIII) die Erteilung einer Betriebserlaubnis mangels gewährleistetem Kindeswohl abzulehnen, kann die Trägereignung sein.

päd.strasse

 

 

Bemerkung: Kindeswohl ist gesichert, wenn die „fachliche Verantwortbarkeit“ (Grafik „pädagogi- sche Straße“) und die Kindesrechte gewahrt sind.

 

Ob ein Träger für die Betreuung und Unterbringung von Kindern/ Jugendlichen geeignet ist, bemisst sich in folgendem Rahmen:

  •  Pädagogische Konzeption: es muss eine kindeswohlgerechte päd. Konzeption vorliegen. Das bedeutet: die mit dem Konzept verbundenen Angebote und Leistungen müssen für eine neutrale, fachlich geschulte Person nachvollziehbar pädagogische Ziele verfolgen und damit fachlich verantwortbar sein. Zu prüfen ist nur dieser Rahmen der Erziehungsethik, d.h. es ist zu fragen, ob die Konzeption der „pädagogischen Kunst“ entspricht. Unzulässig ist es, darüber hinausgehend in pädagogischer Haltung des Landesjugendamts verankerte fachliche Voraus- setzungen per Weisung einzufordern. Das Landesjugendamt nimmt im Rahmen des Kin- deswohls ausschließlich eine Rechtmäßigkeitsaufsicht im Kontext des Kindeswohls wahr.
  • Gesicherte Trägerverantwortung: die Wahrnehmung der Trägerverantwortung muss ge- sichert sein, insbesondere „fachliche Steuerung“. Trägerverantwortung ist kennzeichnet von pädagogischen und administrativen Aufgaben eines Anbieters. Unter administrativem Aspekt werden erforderliche personelle, sachliche und organisatorische Ressourcen zur Verfügung gestellt und deren Finanzierung gesichert (Verantwortung der Wirtschaftlichkeit). Ein wesent- licher Faktor der Trägerverantwortung liegt im pädagogischen Ansatz darin, durch Betriebs- normen die eigene pädagogische Grundhaltung zu erläutern. In einer entsprechenden „Agenda pädagogische Grundhaltung“ sollte – auch im Vorfeld bundesweiter „Leitlinien pädagogi- scher Kunst“– der Anbieter verdeutlichen, welchen pädagogischen Pfad er beschreitet („pä- dagogische Straße“/ vorne): einen liberalen oder einen von pädagogischen Grenzsetzungen geprägten. Für Sorgeberechtigte, die ihm einen Erziehungsauftrag erteilen, sowie für Jugend- und Landesjugendämter ist die entsprechende Information von großer Bedeutung. Die Agenda unterliegt im Rahmen fachlicher Handlungsleitlinien der Beratung der Landesjugendämter (§ 8b II Nr.1 SGB VIII). Sie sollte neben Grundsatzaussagen (z.B. zu den Werten) fallbezogen sein, d.h. typische pädagogische Alltagssituationen aufgreifen und diese i.S. pädagogischer Verhaltensoptionen fachlich beschreiben. Mithin ist die Agenda Selbstverpflichtung des Anbie- ters, mittels derer das Beachten der fachlichen Erziehungsgrenze garantiert wird.
Folgende Aspekte weist die Trägerverantwortung auf:
  • Allg. Trägereignung: Eignung zur Kindeswohlsicherung = Zuverlässigkeit, Ko- operationsbereitschaft mit dem Jugend-/ Landesjugendamt
  • Festlegen der Rechtsform und gestalten der daraus resultierenden Notwendigkeiten wie Satzung oder Gesellschaftsvertrag
  • Zurverfügungstellen personeller, sachlicher, organisatorischer Ressourcen i.R. ge- sicherter Wirtschaftlichkeit und Finanzierung
  • Trägernormen als fachliche Grundlage („fachliche Steuerung“), insbesondere Fest- legen einer fachlichen Grundlage (pädagogisches Konzept) und Sicherstellen einer Betriebskultur durch Beschreiben von Werten und pädagogischer Grundhaltung („Agenda pädagogische Grundhaltung“)
  • Verantwortung für das rechtmäßige Verhalten im Angebot
  • Sicherstellen der Rechtmäßigkeit des Verhaltens durch generelle Vorgaben, etwa im Hinblick auf besondere Rechtsfragen: bei Festangestellten als Dienstanwei- sung, teilweise als „Dienstaufsicht“ bezeichnet; bei freien MitarbeiterInnen ist im Honorarvertrag eine vertragliche Verpflichtung zu rechtmäßigem Verhalten festgelegt, verbunden mit dem Trägerrecht auf fristlose Kündigung bei Missachten dieser Pflicht
  • Personalverantwortung: Auswahl der Leitungspersonen/ KoordinatorInnen und Aufgabenzuweisung, Einstellungen bei festangestellten MitarbeiterInnen oder Ab- schluss von Honorarverträgen mit freien MitarbeiterInnen
  • Fortbildung der MitarbeiterInnen (festangestellte und freie), delegierbar auf die Leitung/ KoordinatorInnen
  • Bei Verletzungen arbeitsrechtlicher Pflichten durch festangestellte MitarbeiterInnen Maßnahmen wie Abmahnung und Kündigung, teilweise als „Dienstaufsicht“ be- zeichnet; bei freien MitarbeiterInnen vertragliche Verpflichtung im Honorarvertrag zur Beachtung der fachlichen Grundlagen („Agenda pädagogische Grundhaltung“, pädagogisches Konzept) sowie zum rechtmäßigen Verhalten, verbunden mit dem Trägerrecht auf fristlose Kündigung bei Missachten dieser Pflicht
  • Organisationsverantwortung: Festlegen von Trägernormen im Kontext der Orga- nisationsstruktur, auch i.S. allgemeiner  Zeckmäßigkeit/ Wirtschaftlichkeit, Stellenbe- schreibungen, Anforderungsprofile für MitarbeiterInnen
  • Kontrollbefugnis zur Einhaltung der Trägernormen: gegenüber der Leitung/ den KoordinatorInnen, gegenüber festangestellten fMitarbeiterInnen, sofern nicht auf Lei- tung/ KoordinatorInnen delegiert; gegenüber freien MitarbeiterInnen durch Festlegungen im Honorarvertrag (Beraten/ Kontrolle/ Zugangsrecht zu Gebäuden/ Kündigung bei rechtswidrigem Verhalten oder Nichtbeachten der fachlichen Grundlagen).
  • Qualitätssicherung, delegierbar auf die Leitung/ KoordinatorInnen.
Bemerkungen zur Organisation:

Eine „Einrichtung“ im Sinne der §§ 45 ff SGB VIII erfordert das auf Dauer angelegte Vorhalten per- soneller, sachlicher und organisatorischer Ressourcen zum Zwecke der Unterkunftsgewährung oder der Ganztags- bzw. auf Teile des Tages ausgerichteten Betreuung Minderjähriger, unabhängig von deren Wechsel.

Im Kontext der Organisationsstruktur einer Einrichtung, die stets aus 3 Ebenen besteht (Betreu- ungs-, Leitungs-, Trägerverantwortung), kann bei Kleinstangeboten in einer auf die Wahrnehmung aller 3 Verantwortungen bezogenen Personalunion nicht automatisch von einer dem Kindeswohl widersprechenden Situation ausgegangen werden. Kindeswohlwidrigkeit wäre erst dann anzu- nehmen, wenn im konkreten Einzelfall ein mit hohem Betreuungsaufwand verbundenes Angebot erbracht wird oder eine quantitative Angebotserweiterung vorliegt, mit der nachweisbaren Wirkung, dass eine oder alle Verantwortungsebenen nicht ausreichend wahrgenommen werden kann/ können, d.h. eine zielorientierte Pädagogik (Gemeinschaftsfähigkeit, Eigenverantwortlichkeit) erschwert wird oder gar unmöglich ist. Im Ergebnis können Kleinstangebote also durchaus als „Einrichtung“ gewertet werden. Anhand der Definition des Einrichtungsbegriffs wird es bei natür- lichen Personen als Kleinstanbieter in der Abgrenzung zwischen Vollzeitpflege (§ 33 SGB VIII/ Pflegeerlaubnis des Jugendamtes/ § 44 SGB VIII) und „Einrichtung“ (§§ 34, 48a SGB VIII/ Betriebs- erlaubnis des Landesjugendamtes/ § 45 SGB VIII) auf Folgendes ankommen: eine „Einrichtung“ kann nur vorliegen, wenn die hinter dem Angebot stehende/n natürlichen Personen eine „fachliche Steuerung“ ausüben, verbunden mit entsprechenden organisatorischen Umsetzungen (z.B. i.S. einer pädagogischen Konzeption) und wenn ein personeller Unterbau als personelle Ressource besteht bzw. nach einer Anlaufphase vorgesehen ist. Sofern keine natürliche Person bzw. keine Mehrzahl natürlicher Personen (BGB Ges.) hinter einem Angebot steht, vielmehr eine juristische Person (GmbH oder Verein), wird das Vorliegen einer „Einrichtung“ zunächst vermutet und müsste dies im Einzelfall wegen Fehlens einer oder mehrerer Voraussetzungen (z.B. kein vom Nutzer- wechsel unabhängiger Bestand) ausgeschlossen sein.


III. TRÄGERVERANTWORTUNG UND KINDESWOHL

Dem Kindeswohl verpflichtet

1. Das Kindeswohl im allgemeinen Kontext

Das Kindeswohl wird im Kontext des Art 3 UN Kinderrechtskonvention anhand folgender Kriterien beurteilt:
  • Innere Bindungen des Kindes
  • Kindeswille
  • Kontinuität und Stabilität von Erziehungsverhältnissen
  • Positive Beziehungen zu beiden Elternteilen
  • Hinweis: in der institutionellen Erziehung sollten als Beurteilungsrahmen „fachliche Handlungsleitlinien“ des Anbieters formuliert sein, im juristischen Sinn als ein den MitarbeiterInnen zur Verfügung stehender „Beurteilungsspielraum des unbestimmten Rechtsbegriffs Kindeswohl“. Darin stellt der Träger im Rahmen „fachlicher Begründbarkeit“ seine pädagogische Grundhaltung selbstbindend dar (Trägerver- antwortung). Die Leitlinien sind für die Mitarbeiterinnen Orientierungsrahmen, ob ihr Verhalten dem „Kindeswohl“ entspricht (Ziffer 2).
2. Das Kindeswohl in der Erziehung: Kindeswohl- Rahmen

Das Kindeswohl umschließt das körperliche, geistige und seelische Wohl (§ 1666 BGB), konkre- tisiert durch den pädagogischen Rahmen der „fachlichen Verantwortbarkeit“ (Legitimität) und den darauf aufbauenden Rahmen der Kindesrechte (Legalität). Dabei beinhaltet die „fachliche Ver- antwortbarkeit“, dass für einen fiktiven neutralen, fachlich geschulten Beobachter nachvollziehbar ein pädagogisches Ziel  verfolgt wird. Den pädagogische Rahmen „fachlicher Verantwortbarkeit“ sollten Anbieter in „fachlichen Handlungsleitlinien“ i.S. ihrer pädagogischen Grundhaltung be- schreiben.

Kindeswohl

Ein wesentlicher Faktor der Trägerverantwortung liegt also darin, durch Trägernormen die eigene pädagogische Grundhaltung zu erläutern (Betriebskultur). Dem entspricht einer „Agenda pädagogische Grundhaltung“, in der der Anbieter verdeutlicht, welchen pädagogischen Weg er beschreiten will (wofür er steht): z.B. einen erziehungsliberalen oder einen von intensiven päda- gogischen Grenzsetzungen geprägten. Für Eltern, die seinen MitarbeiterInnen einen Erziehungs- auftrag erteilen, ist die entsprechende Information von großer Bedeutung. Die Agenda sollte auch fallbezogen sein.


IV. TRÄGERVERANTWORTUNG UND ZULÄSSIGE MACHT

Zulässige Macht übt ein Träger aus, wenn er sich fachlich verantwortbar und rechtlich zu- lässig verhält und dementsprechend Entscheidungen trifft, die Voraussetzungen für das objektiv nachvollziehbare Verfolgen pädagogischer Ziele setzen. Dabei kann zur Orientie- rung- auch bezogen auf Leitungsentscheidungen- dieses Prüfschema zugrunde gelegt werden:

Prüfschema zulässige Macht mittelbar Verantwortlicher